- Montag, 15.11.2021, 19.00 Uhr:
Sabine Bode liest aus ihrem Buch „Kriegsenkel“
- Mittwoch, 17.11.2021, 19.00 Uhr: "Der Krieg in mir“
Film des Filmemachers Sebastian Heinzel
- Donnerstag, 25.11.2021, 19.00 Uhr: „Kriegskinder und Kriegsenkel – zwei, die es schwer miteinander haben."
Vortrag von Michael Schneider, Hamburg
1. Vorsitzender des Kriegsenkel e.V.
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Leben wie mit angezogener Handbremse
Immer mehr Menschen der Jahrgänge 1960 bis 1975 entdecken sich als „Kriegsenkel“. Was das bedeutet, beleuchtet eine Veranstaltungsreihe der Herbstakademie an der Lutherkirche Leer. Mit dabei: die Autorin Sabine Bode. Ihr Buch zum Thema hat die Problematik dieser Kinder der Kriegskinder einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht.
„Als Friedenskinder sind sie in den Zeiten des Wohlstandes aufgewachsen. Es hat ihnen an nichts gefehlt. Oder doch? Die Generation der zwischen 1960 und 1975 Geborenen hat mehr Fragen als Antworten: Wieso haben viele das Gefühl, nicht genau zu wissen, wer sie sind und wohin sie wollen? Wo liegen die Ursachen für diese diffuse Angst vor der Zukunft? Weshalb bleiben so viele von ihnen kinderlos? Noch ist es für sie ein völlig neuer Gedanke, sich vorzustellen, ihre tief sitzende Verunsicherung könnte von den Eltern stammen, die ihre Kriegserlebnisse nicht verarbeitet haben. Ist es möglich, dass eine Zeit, die über 60 Jahre zurückliegt, so stark in ihre Leben als nachgeborene Kinder hineinwirkt?“
Mit diesen Worten beginnt das Buch „Kriegsenkel“ von Sabine Bode. Es erschien 2009 – und erlebt gerade seine 28. (!) Auflage. Der Gedanke, die Verunsicherung ihrer Generation könne von ihren Eltern stammen, ist immer mehr Angehörigen dieser Generation nicht mehr neu. Dafür spricht nicht nur der enorme Erfolg des Buches. Dafür sprechen auch volle Seminare des Vereins Kriegsenkel e.V., eine wachsende Zahl von Büchern, Filmen und Medienbeiträgen zum Thema. Nach einer längeren Anlaufzeit ist es in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Blitzschlag der Erkenntnis
Wobei die Entdeckung, ein „Kriegsenkel“ zu sein, viele Menschen zunächst wie ein Blitzschlag der Erkenntnis trifft. Natürlich haben sie gewusst, dass ihre Eltern während des Zweiten Weltkriegs Kinder waren, und sie erleben sich in derselben Zeitheimat wie all die anderen. Auch wenn es ihnen ein bisschen peinlich ist, können sie „99 Luftballons“ von Nena und „Mamma Mia“ von Abba auswendig mitsingen, aber dann stolpern sie in einem Buch, Film oder Medienbeitrag über dieses Kunstwort. „Kriegsenkel“. Und dort sehen sie auf einmal das ganze Bündel von Symptomen beschrieben, die sie nur zu gut aus ihrem eigenen Leben kennen: Bindungsprobleme mit Eltern und Kindern, innere Einsamkeit, rastlose Suche nach Sinn und Heimat, Ringen um Erfolg im Beruf. Sie beginnen zu verstehen, wie sich alte Glaubenssätze dysfunktional auswirken, wie sie bremsen und behindern und sich verdichten zu einem Leben wie „mit angezogener Handbremse“, wie Sabine Bode es plakativ nennt.
Dieser Blitzschlag der Erkenntnis bewirkt Erleichterung und Schock zugleich. Erleichterung, weil das drängende Gefühl, irgendwie falsch in dieser Welt zu sein, ein schwarzes Schaf, ein seltsamer Vogel, sich auflöst in dem Staunen, dass es offenbar Millionen Menschen genauso oder ähnlich geht. Dass es kein individuelles Versagen ist, sondern die Prägung einer Generation. In Seminaren oder bei Vorträgen erleben sie dann, wie die Gesichter ihrer Gegenüber in Wiedererkennen aufleuchten, wenn sie aus ihrer belasteten Kindheit und Jugend erzählen, von der Sehnsucht, endlich irgendwo anzukommen und den aktuellen Problemen mit den Eltern. Mitgefühl und Interesse statt Abwehr und Missbilligung – eine ungewohnte Erfahrung.
Bange Fragen zum Familienerbe
Aber die Entdeckung, ein Kriegsenkel zu sein, ist auch ein Schock. Zu lernen, wie geradezu determinierend die Geschichte der Großeltern und Eltern für das eigene Leben sein kann, widerspricht dem menschlichen Selbstkonzept als Subjekt, das sein Leben souverän nach eigenen Vorstellungen gestaltet. Dass der Zweite Weltkrieg, die Nazizeit, der Holocaust, dass Flucht und Vertreibung und die Verstrickung der Vorfahren darin im 21. Jahrhundert noch so wirkmächtig unser Dasein beeinflussen, ist bedrückend und schwer verständlich. Auch das Wissen, dass diese negativen Prägungen kommenden Generationen vererbt werden können, steht drohend im Raum. Die Forschungsergebnisse, die eine Weitergabe dieser Erfahrungen beweisen, sind für viele, die sich als Kriegsenkel entdeckt haben, schockierend. „Wenn wir das geerbt haben – was haben wir unseren Kindern vererbt?“ Es sind bange Fragen, die immer wieder gestellt werden.
Seminare als Resonanzraum
Seit einigen Jahren leite ich, der Autor dieser Zeilen, für den Verein Kriegsenkel e.V. Seminare mit dem Titel „Kriegsenkel – Annäherung an das Thema einer Generation“. Die Nachfrage wächst kontinuierlich, die allermeisten Seminare sind ausgebucht. Überhaupt bekommt das Thema immer mehr Publizität. Zu Vorträgen kommen hunderte Zuschauer. Jährlich gehen etwa 40.000 Anfragen beim Bundesarchiv und 30.000 beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ein, mit denen Nachfahren die Geschichte ihrer Soldaten- oder Nazi-Väter und Großväter aufzuklären versuchen. Der Blick in die Akten ist nicht selten schockierend – aber letztlich wirkt es doch entlastend, das Schweigen über diese Geheimnisse endlich gebrochen zu haben, die Schuld, die die Vorfahren auf sich geladen haben, endlich anzuschauen.
In Seminaren, Vorträgen und Tagungen erlebe ich es immer wieder: Es ist das persönliche Leid, das erkenntnisleitend wirkt. Ihm können die Kriegsenkel, im Unterschied zu moralischen oder juristischen Kategorien, nicht entkommen. Es liegt nicht in unserer Hand, es „jetzt mal gut sein zu lassen“, „einen Strich zu ziehen.“ Das weiterhin wachsende Interesse an der Aufklärung der Familiengeschichte spricht dafür, dass immer mehr Menschen das entdecken. Sie wollen diese Gefühlserbschaften, wie Sigmund Freud sie nannte, endlich verstehen und sich davon befreien.
In ihrem Buch „Kriegsenkel“ schreibt Sabine Bode: „Es gibt in Deutschland keine Familie, an der der Krieg und die NS-Zeit spurlos vorbeigegangen sind. Der größte Teil der Bevölkerung will das auf sich beruhen lassen. Man sagt: Wir wollen an die alten Familiengeschichten nicht mehr denken, und was damals in Deutschland geschah, ist uns ja nun hinreichend bekannt. (...) Mag sein. Was aber sicher fehlt, ist ein Verständnis für die Auswirkungen dieser Vergangenheit. Was bedeutet diese Erbschaft für unsere persönliche Identität, für unsere Familienidentität und letztlich auch für unsere gesellschaftliche Identität?“.
Wichtige Fragen, auf die es bei der Herbstakademie der Lutherkirchengemeinde Leer spannende Antworten geben wird.
Sven Rohde ist Coach und Autor in Hamburg. Er ist 2. Vorsitzender des Kriegsenkel e.V. und leitet Seminare zum Thema.
Veranstaltungen in der Ev.-luth. Lutherkirchengemeinde Leer
- Montag, 15.11.2021, 19.00 Uhr:
Sabine Bode liest aus ihrem Buch „Kriegsenkel“
- Mittwoch, 17.11.2021, 19.00 Uhr:
„Der Krieg in mir“. Film des Filmemachers Sebastian Heinzel
- Donnerstag, 25.11.2021, 19.00 Uhr:
„Kriegskinder und Kriegsenkel – zwei, die es schwer miteinander haben.“ Vortrag von Michael Schneider, 1. Vorsitzender des Kriegsenkel e.V.
- Anfang 2022 (noch ohne konkreten Termin): „Kriegsenkel – Annäherung an das Thema einer Generation“. Seminar mit Sven Rohde
Bei allen Veranstaltungen werden Listen ausliegen, auf denen Interessierte ihre Kontaktdaten hinterlassen können!